Produktiv und zielorientiert, strukturiert und kreativ, kommunikativ und teamfähig – und vor allem allzeit motiviert:
Ungefähr so sieht der ideale arbeitende Mensch im frühen 21. Jahrhundert aus.
Dabei versteht es sich von selbst, dass dieser Idealarbeiter, zumal wenn es sich um eine Idealarbeiterin handelt, Haushalt und Kindererziehung oder auch die Versorgung der Alten und Pflegebedürftigen locker nebenbei miterledigt. Und sich auch von unsicheren Beschäftigungsbedingungen – Befristung, Personaleinsparung, Umstrukturierung – nicht in seinem oder ihrem Tatendrang bremsen lässt.
Angesichts dieses ehrgeizigen Anforderungskatalogs ist wenig verwunderlich, dass Krankenkassen seit Jahren einen konstant hohen Krankheitsstand bei den psychischen Störungen vermelden – und dass Gesundheits-, Ratgeber- und Coachingindustrie boomen.
Nichts gegen Achtsamkeitstraining oder Yoga. Wenn es Ihnen hilft – wunderbar. Interessant ist aber doch, dass wir längst nicht mehr nur dazu aufgefordert werden, unsere Leistung zu steigern. Sondern immer deutlicher auch dazu, an unserer Belastbarkeit zu arbeiten. Wir sollen nicht nur produktiv, kreativ und effizient sein, sondern wir sollen Stress, Überforderung und Verschleiß durch eigene Initiative zuvorkommen.
Das neue Zauberwort hierzu heißt: Resilienz. Gemeint ist eine Art geschmeidiger Spannkraft oder Elastizität, die uns in die Lage versetzt, Dauerstress und sonstige Unerfreulichkeiten des Arbeitslebens ohne nachhaltige Beeinträchtigung unserer Leistungsfähigkeit wie unserer guten Laune zu überstehen.
Immer mehr Unternehmen bieten mittlerweile Resilienztrainings an. Dort sollen Arbeitnehmer*innen lernen, wie sie auch unter den Bedingungen von Hyperkonkurrenz und einer auf Dauer gestellten Unsicherheit konstant fit und produktiv bleiben, ohne ihre Arbeitssituation allzu genau zu hinterfragen. Denn das ist das Betriebsgeheimnis der Resilienz: Wer resilient ist, fragt nicht danach, wie Bedingungen verändert werden können. Sondern danach, wie er oder sie sich selbst verändern muss, um unter den jeweils gegebenen Bedingungen besser zu leben, oder genauer gesagt: zu überleben.
Resilienz ist aber nicht bloß ein angesagtes psychologisches Konzept, sondern boomt zugleich in vielen anderen Themenfeldern. Resilient können nicht nur Menschen sein, sondern auch Regenwälder, Finanzmärkte, Regierungen oder Küstenstädte. Auch im politischen Diskurs, von Europäischer Union bis Weltbank, ist immer häufiger von Resilienz als Strategie der Zukunft die Rede.
Und überall gilt: Wo von Resilienz gesprochen wird, geht es nicht darum, Strukturen zu verändern oder Machtverhältnisse zu hinterfragen. Sondern darum, sich auf Belastungen, Krisen und Katastrophen besser einzustellen.
Auch das psychologische Konzept der Resilienz reiht sich nicht einfach nahtlos ein in die Liste zeitgeistiger Handlungsideale wie Achtsamkeit, Selbstwirksamkeit oder emotionale Intelligenz. Es setzt einen neuen und bemerkenswerten Akzent: Die Akzeptanz des angeblich Unvermeidlichen als Königsweg zu Gesundheit, Glück und Erfolg.
„Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt“, lautete eine bekannte Parole der 68er-Bewegung. Die Botschaft der Resilienz kehrt die darin enthaltene Logik um: Wer sich nicht anpasst, lebt verkehrt – und soll sich dann auch bitte nicht beschweren, wenn er oder sie ausbrennt oder depressiv wird.
Doch gegen belastende Arbeits- und Lebensbedingungen helfen Coaching, Achtsamkeit und Stressprävention allenfalls kurzfristig. Mittel- und langfristig braucht es auch – und gerade – heute noch den Mut, die Dinge nicht einfach so hinzunehmen, wie sie sind. Oder anders gesagt, die Bereitschaft zu Kritik und Konflikt.
Quelle: https://www.deutschlandfunkkultur.de/moderne-arbeitswelt-anpassung-statt-kritik-100.html
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Stimmungsmanagement
Der Jesuit, Philosoph und Trainer Michel Bordt 1 hinterfragt Leadership-Praktiken.
Verzweckt als bloses Stimmungsmanagement, in dem Dunkelheiten und Leid keinen Platz haben, verstärken Reselienztrainings die Trendenz unserer Gesellschaft in der Narzismus-Falle 2 .