Natürlich kann man sie sehen, die Gegenstände des Design; es sind Gestaltungen und Geräte bis hinauf zum Gebäude und hinab zum Dosenöffner. Der Designer gestaltet sie in sich logisch und gebrauchsfertig, wo bei er gewisse äußere Randbedingungen annimmt: beim Dosenöffner die Beschaffenheit von Dosen. Der Designer von Dosen geht wiederum davon aus, wie die Dosenöffner beschaffen sind; dieses ist seine Randbedingung.
So kann man die Welt als eine Welt von Gegenständen auffassen und sie einteilen in - zum Beispiel - Häuser, Straßen, Verkehrsampeln, Kioske; in Kaffeemaschinen, Spültröge, Geschirr, Tischwäsche. Diese Einteilung hat Konsequenzen: Sie führt eben zu der Auffassung von Design, welche ein bestimmtes Gerät ausgrenzt, seine Außenbedingungen anerkennt und sich das Ziel setzt, eine bessere Kaffeemaschine zu bauen oder eine schönere, also das zu tun, was in den fünfziger Jahren mit der Auszeichnung Die Gute Form bedacht worden ist.
Wir können uns aber die Welt auch anders einteilen - und wenn ich die Pattern Language recht verstanden habe, so hat das Christopher Alexander dort versucht. Sein Schnitt liegt nicht zwischen Haus, Straße und Kiosk, um bessere Häuser, Straßen und Kioske zu bauen, sondern er scheidet den integrierten Komplex Straßenecke gegen andere städtische Komplexe ab; denn der Kiosk lebt davon, daß mein Bus noch nicht kommt und ich eine Zeitung kaufe, und der Bus hält hier, weil mehrere Wege zusammenlaufen und die Umsteiger gleich Anschluß haben. Straßenecke ist nur die sichtbare Umschreibung des Phänomens, darüber hinaus enthält es Teile organisatorischer Systeme: Buslinien, Fahrpläne, Zeitschriftenverkauf, Ampelphasen usw.
Auch diese Einteilung der Umwelt gibt einen designerischen Impuls. Aber dieser bezieht die unsichtbaren Teile des Systems ein. Erforderlich wäre vielleicht ein vereinfachtes Zahlungssystem für Zeitschriften, damit ich den Bus nicht verfehle, während ich die Münzen hervorklaube und der Verkäufer gerade einen anderen Kunden bedient. Manche werden nun wieder ein neues Gerät vor sich sehen, einen elektronisch summenden Zeitschriftenautomaten, wir aber einen Eingriff in das System: vereinheitlichte, runde Zeitschriftenpreise, oder Zeitungs-Abonnementkarten auf Sicht - jedenfalls eine Regelung, die sich mit der Institution der Zeitschriftenverteilung befaßt.
Was sind Institutionen? Verlassen wir Christopher Alexanders Straßenecke zugunsten einer klar erfaßbaren Institution: das Krankenhaus. Was ist ein Krankenhaus? Nun, eben ein Haus mit langen Korridoren, gebohnerten Fußböden, weiß lackierten Möbeln und Wägelchen, die mit Speisegeschirr beladen sind. Diese Sicht des Krankenhauses führt wieder zum traditionellen designerischen Anspruch: Der Architekt, der Designer sind aufgerufen, Krankenhäuser zu planen mit kürzeren Korridoren, intimerer Atmosphäre, praktischeren Speisewägelchen.
Wie jedermann weiß, sind indessen die Spitäler größer, die Wege länger, die Essensangebote anonymer, die Krankenpflege ungemütlicher geworden. Denn der Architekt und der Designer durften ja nicht in die Institution eingreifen, sondern sie verbesserten Gestaltungen und Geräte innerhalb der zugeteilten Bedingungen.
Beschreiben wir also das Krankenhaus als Institution. Es ist vor allen sichtbaren Dingen ein System von Beziehungen zwischen Menschen. Auch zwischenmenschliche Systeme sind designt, entworfen, zum Teil allerdings von Geschichte und Tradition, zum andern Teil aber von heute lebenden Menschen. Wenn das Gesundheitsministerium verfügt, die Diätküche sei nicht dem medizinischen Personal, sondern der Direktion unterstellt - oder umgekehrt -, so ist dieser Beschluß ein Stück der Gestaltung der Institution.
Zunächst aber besteht das Krankenhaus aus den drei traditionellen Rollen: Arzt, Krankenschwester und Kranker. Die Schwesternrolle, assoziativ hoch aufgeladen und irgendwo zwischen Muttergottes und Ingrid Bergman, scheint klar, ist aber in Wirklichkeit höchst unklar, da sie viele ungleiche Tätigkeiten in sich vereinigt. Der Arzt, im historischen Krankenhaus eine unwichtige Figur, hat sich im 19. Jahrhundert an die Spitze manövriert, unterstützt von einem gläubig geschluckten Forschungsmythos, der über Groschen-Roman und Fernsehen dafür sorgt, daß es noch im hintersten Bezirkskrankenhaus ein bißchen nach Herztransplantation riecht. Und der Kranke? Der hat doch keine Rolle? Er ist doch einfach krank, da kann er doch nichts dafür? Also entschließen Sie sich bitte mal, ob Sie krank sein wollen oder gesund! Offenbar kann man sich dazu entschließen. Und muß: sonst geht man dem Chef auf die Nerven - dem Chef im Büro oder dem Chef im Spital. Ein Kranker liegt - bei Chodowiecki saß er noch -, oder er wandelt als Rekonvaleszent dankbar im Park herum. Jedenfalls fügt er sich dem Drei-Rollen-Spiel, das längst des Re-Design bedürfte; aber davon später.
Gibt es weitere solche Institutionen? Jawohl: die Nacht. Aber die Nacht ist doch ein Naturphänomen, die Sonne bescheint gerade die Antipoden, und bei uns ist es dunkel? Anne Cauquelin hat als erste die Hypothese vorgeschlagen: Die Nacht ist gemacht. Und in der Tat ist es menschliches Verhalten, das entlang menschgemachter Einrichtungen die Nacht so oder anders gestaltet. In der Schweiz kann ich nach 21 Uhr ruhig arbeiten und dann schlafen gehen; so spät zu telefonieren gilt als unhöflich. In Deutschland schweigt mein Telefon den ganzen Abend bis um 23 Uhr, dann kommt Leben in den Apparat; um 22 Uhr setzt der Billigtarif ein, worauf sogleich alle Überlandleitungen überlastet sind, bis man dann nach etwa einer Stunde durchkommt.
Die Nacht also, die ursprünglich wohl einmal etwas mit Dunkelheit zu tun hatte, ist ein menschgemachtes Gebilde, bestehend aus Öffnungszeiten, Schließungszeiten, Tarifen, Fahrplänen, Gewohnheiten und auch aus Straßenlampen. Wie das Krankenhaus, so hätte auch die Nacht ein Re-Design dringend nötig: Weshalb stellen die öffentlichen Verkehrsmittel ihren Betrieb gerade dann ein, wenn die Leute nach einem Glas Wein das Wirtshaus verlassen, so daß sie sich eben doch selber ans Steuer setzen? Würde nicht eine andere Organisation der Öffnungs- und Schließungszeiten jene Frauen vor Gewalt bewahren, die nachts allein zu Fuß nach Hause müssen? Muß es auch bei uns so weit kommen, daß nur noch das fahrende eigene Auto einigermaßen Sicherheit gewährt?
Wir nennen eine weitere Institution: den Haushalt. Für den traditionellen Designer ist der Haushalt eine Ansammlung von Geräten, ein Tummelplatz für den Entwurf. Was gibt es da nicht alles zu erfinden und zu verbessern: Kaffeekocher, Mixer, Spülmaschinen, um nur die Küchengeräte zu nennen. Der Entwerfer sorgt dafür, daß mit neuen Mitteln alles beim alten bleibt. Es gab um 1900 eine Bewegung zur Reform des Haushalts; die beginnende Mechanisierung forderte eine Kollektivierung, Großküchen, Wäschereien, Zentralstaubsauger wurden ausprobiert. Mit Hilfe der Kleinmotoren kamen alle diese Funktionen wieder in den Haushalt zurück. Küchengeräte dienen dazu, der Hausfrau Zeit zu sparen... Daß ich nicht lache!
Ein Untersystem der Institution Haushalt ist die Entfernung von Schmutz. Was ist Schmutz? Weshalb entfernt man ihn? Und wo ist er, wenn er angeblich entfernt worden ist? Wir wissen es alle, geben es nur nicht gern zu: Der entfernte Schmutz, zusammen mit den Reinigungsmitteln, ist die Umweltverschmutzung. Aber man muß doch putzen, Schmutz ist doch unhygienisch? Kurios, man putzte schon vor der Kenntnis der Hygiene. Und im übrigen sind die Filtermaschen der Staubsauger-Einsätze zu groß, um Bakterien zurückzuhalten. Das heißt also: Staubsauger wirbeln Bakterien lediglich auf. Schade um dieses Lieblingskind der Designer, den Staubsauger!
Aber wie putzt man denn da, wo es auf Hygiene wirklich ankommt, im Krankenhaus? Die Hygiene im Krankenhaus beruht, soviel ich sehe, auf drei Pfeilern. Der erste Pfeiler ist rein symbolischer Natur: Man hält das Blinken weißer Oberflächen und das Glänzen gebohnerter, also fettbeschmierter Böden für Sauberkeit. Der zweite Pfeiler beruht auf Antisepsis, also auf Giften: Die Bakterien sollen mit immer neuen Desinfektionsmitteln umgebracht werden. Unglücklicherweise erringt man damit aber nur temporäre Erfolge, denn es bilden sich ständig resistente Stämme, die eben durch diese Gifte selektiv gezüchtet werden. Der dritte Pfeiler beruht auf dem Absaugen: Im Gegensatz zum häuslichen Staubsauger, der den Staub im gleichen Raum wieder fliegen läßt, verteilen die Klimaanlagen und Absaugevorrichtungen der Spitäler die gefährlichen Keime in der ganzen Umgebung. Gibt es ein Mittel gegen alle diese Übelstände? Natürlich, aber es liegt nicht im Bereich der Randbedingungen der Designer! Es lautet: Re-Design des Gesundheitssystems, vor allem in Richtung auf Dezentralisation.
Wir nennen eine letzte Institution: die Produktionsstätte. Vieles wäre da zu sagen, hier nur so viel: Auch Arbeitsplätze sind gemacht, sind Gegenstand der Gestaltung. Wir meinen damit nicht, daß am Arbeitsplatz die Stühle besser gestaltet oder die Tapeten etwas freundlicher sein könnten und Topfpflanzen aufgestellt werden müßten. Gegenstand der Gestaltung ist der Abschnitt von Arbeit, der dem einzelnen zugeteilt ist, mit dem Maß an Einsatz, Wissen, Können, oder Nicht-Können, Verblödung, Langeweile, das an dieser Stelle geleistet werden muß. Alles dieses gilt nicht nur für die Produktionsstätte im engeren Sinne, die Fabrik, sondern auch für Verwaltung, Stehkragenarbeit. Die Arbeitsplätze sind gestaltet nach einer scheinbaren Produktivität, die der Kontraproduktivität schon sehr nahe steht. Die so genannte Automatisierung vernichtet Arbeitsplätze, die noch mit Befriedigung verbunden waren, und beläßt solche, die dringend der Rationalisierung bedürften. Wir können das Problem hier nur andiskutieren und müssen den Beweis für die Behauptungen schuldig bleiben. Der Sinn der Aussage ist nur dieser: Auch Arbeitsplätze sind gestaltet, nicht nur im traditionell-designerischen Sinne, sondern in der Art, wie sie Teilarbeit aus der Gesamtarbeit ausscheiden, ihr Kompetenzen zuteilen oder wegnehmen und Zusammenarbeit erzeugen oder verhindern.
Die bisherigen Ausführungen haben zeigen wollen, daß das Design eine unsichtbare Komponente hat, nämlich die institutionell-organisatorische, über welche der Designer ständig mitbestimmt, die aber durch die gängige Art der Einteilung unserer Umwelt im verborgenen bleibt. Indem nämlich die Welt nach Gegenständen eingeteilt wird und das Unsichtbare dabei als Randbedingung auftritt, wird die Welt auch gestaltet. Auch das Nicht-Verändern der Institutionen ist ja - bei sich entwickelnder technischer Gegenstandswelt eine Gestaltung: Der Röntgenapparat wird für die Bedienung durch die Röntgenschwester ausgestattet.
Im folgenden möchten wir nun schauen, ob wir mit diesen Erkenntnissen etwas anfangen können oder ob sie vielmehr nur der melancholische Beweis dafür sind, daß die Welt eben schlecht eingerichtet ist.
Jede Nachdenkerei über das Design hat sich mit zwei Phasen zu beschäftigen: mit der Phase des Entwurfs bis hin zur Produktion und mit der Phase der Konsumtion bis hin zum Ende im Mülleimer oder im Museum. Dazu zunächst je eine traditionelle Hypothese.
Zum Entwurf:
Gesucht ist das zweckmäßige Objekt, wobei man sich endlos darüber unterhalten kann, ob Zweckmäßigkeit schon von selbst identisch sei mit Schönheit oder ob der Designer die Schönheit zuzufügen habe.
Und zur Konsumtion:
Die Technik und die technischen Gegenstände sind neutral; ihr Mißbrauch kommt von den bösen Menschen. Das Werkbund-Jahrbuch von 1914 zeigte Kriegsschiffe als Gegenstände der Gestaltung, in gleicher Weise zeigte die Zeitschrift »Werk« im April 1976 die Kühltürme von Atomkraftwerken als eine reizvolle Aufgabe für Architekten. Dazu zwei Gegenthesen als Ausgang für eine neue Beschreibung der beiden Prozesse des Entwurfs und des Verbrauchs.
Zum Entwurf:
Die Objekte erhalten ihre Gestalt durch die Interaktionen des Entwurfsprozesses.
Und zum Verbrauch:
Die Produkte wirken aktiv in die Interaktion der Gesellschaft zurück; die Dinge sind nicht neutral, sondern es gibt (Illich!) Tools for Conviviality und auch ihr Gegenteil, gesellschaftsverhindernde Dinge.
Und gleich fügen wir noch probeweise eine dritte Hypothese an; eine Hypothese zur Kontraproduktivität: Jeder neue Entwurf bewirkt im Gebrauch Änderungen, und diese Änderungen ziehen die Notwendigkeit neuer Entwürfe nach sich. Werden alle diese nacheinander sich öffnenden Probleme konventionell, nämlich als Einzelprobleme gelöst, so entsteht Kontraproduktivität. Dazu kurz ein Beispiel: Die mehrere Wohnungen bedienende Zentralheizung brachte angeblich das Bedürfnis, den individuellen Verbrauch des einzelnen Bewohners zu messen. Basierend auf der Verdunstung von Flüssigkeit wurden an den Heizkörpern Meßgeräte angebracht, was zur Folge hatte, daß jeder Mieter, wenn er ausgeht, seine Radiatoren abstellt. Die Mieter verlangen dann aber auch, daß die Zimmer gleich wieder warm werden, wenn sie die Radiatoren wieder andrehen. Infolgedessen wird das Heizwasser so heiß gehalten, daß schlußendlich jeder Mieter, auch der sparsamste, insgesamt mehr Heizkosten zu zahlen hat als zu der Zeit, als man die Kosten nur nach Anteilen und ohne Messung verrechnete.
Beginnen wir also mit dem Entwurfsprozeß. Hier stellten wir schon eingangs fest, daß der Designer die Welt einteilt nach Objekten anstatt nach Problemen. Dies beruht auf der linguistischen Determination, welche die Benennung eines Übelstandes gleich zum Gerät seiner Abhilfe macht. Indem ich beklage, daß meine elektrische Zwiebelmaschine mir zwar beim Hacken der Zwiebel eine Minute einspart, jedoch zum Reinigen wiederum zehn Minuten verbraucht, steht mir vor Augen nicht die Rückkehr zum einfachen Küchenmesser, sondern der Entwurf eines Zwiebelmaschinen-Reinigungsgerätes. Der benannte Zweck wird direkt zur Abhilfe, anstatt daß ich generell versuche, unter den Bedingungen des Mangels an Zeit wirtschaftlicher zu kochen.
Mit zu dieser direkten Verbindung zwischen Benennung und Abhilfe gehört die Stillegung der Randbedingungen: Über das zu entwerfende Gerät hinaus sollen keine technischen oder organisatorischen Veränderungen nötig werden. Erfolgreich ist, was in die bestehenden Systeme eingefügt werden kann, und seien die noch so überlastet: ein Abfall-Zerkleinerungsgerät im Ablauf des Spülbeckens, eine Reinigung des Backofens durch Überhitzung usw. Diese Art der Problemlösung hat ihre Ursache in der Stellung des Designers innerhalb der Entscheidungsgruppen: als ein im Grunde von der Verantwortung befreiter Ideenlieferant.
Ulm, gemeint ist die zu Ende der fünfziger Jahre tätige Hochschule für Gestaltung, hat wohl als erste Instanz gemerkt, daß das Design kontraproduktiv ist, doch die Ulmer Lösungen waren technokratisch. Sie beruhten auf einer radikalen Analyse des zu erfüllenden Zwecks, stellten aber den Zweck selbst nicht in einen höheren Zusammenhang. Studentenarbeiten in Ulm begannen ungefähr folgendermaßen: Die Aufgabe lautet, feste bis breiige Substanzen in Portionen von zehn bis zwanzig Gramm von einem Teller etwa dreißig Zentimeter in die Höhe zu heben und horizontal zur Mundöffnung zu schieben, wobei dann der Träger durch die Oberlippe von seiner Substanz entlastet wird... Das Resultat ist nicht etwa Charly Chaplins Eßmaschine, sondern eine etwas modernistisch gestaltete Gabel.
Inzwischen hat man wohl erkannt, daß Dinge mit so hohem Symbolwert und so geringem Anteil von Erfindung wie das Eßbesteck gar nicht Gegenstand des Design sind. Diejenigen Dinge aber, die noch zu erfinden sind, sind wohl, mindestens in ihren technischen Teilen, für den Designer zu schwierig. So muß sich das Design öffnen zu einem Soziodesign: einem Nachdenken über Problemlösungen, die dadurch entstehen, daß sowohl Rollen wie Objekte aufeinander abgestimmten Veränderungen zugeführt werden. Etwa so: eine Küche, die dazu anregt, dem Gastgeber beim Zerkleinern der Zwiebel zu helfen...
Bevor wir das Gebiet des Entwurfs verlassen und zum Verbrauch übergehen, eine kurze Zwischenbemerkung zum Verkauf und seinen verborgenen Verführern. Natürlich sind sie noch am Werk, die Marketing- und Reklamefachleute, die tiefenpsychologisch Seifenflocken verkaufen und vorgemischtes Kuchenmehl, das der Mutter ein Gefühl gibt, als stille sie die ganze Familie an der Brust. Aber auf dem Gebiet des Design hat sich doch im großen und ganzen das Fieber gelegt; ich werde mir einen neuen Eisschrank kaufen, wenn der alte nicht mehr kühlt, und nicht bloß deshalb, weil die Kante jetzt eine andere Rundung haben sollte. Auf dem Gebiet des Autos finden noch Nachhutgefechte statt; indessen erblühen auch hier die Revivals und in den übrigen Sektoren des Warenhandels kauft die Avantgarde ohnehin auf dem Flohmarkt. Der Flohmarkt wird zur Begegnungsstätte zwischen der schwindenden Verschleißbevölkerung und der wachsenden nachindustriellen Gesellschaft.
Das alles soll keineswegs heißen, daß der Fortschritt, im guten und im kontraproduktiven Sinne, etwa stillstehe. Aber der Sektor, auf dem er noch stattfindet, wird überschaubar. Neben der von ihm beherrschten Produktion für den weißen Markt wachsen der graue Markt, die Schwarzarbeit, die Eigenversorgung, der Tausch und die informelle gegenseitige Hilfe. Auch hier erzielt die weiße Produktion noch vorübergehende Erfolge: neben dem Putzmittelpotlatsch nun die Versuchung mit Hobby-Selbermach-Produkten. Das könnten aber Übergangserscheinungen sein auf dem Wege zu höherer Selbstversorgung. Ob daran alles erfreulich ist, sei dahingestellt, es droht auch die Gefahr der Verspießerung, der Isolierung; aber vielleicht sind gesellschaftliche Rückschritte unvermeidlich als Ausgangspunkt neuer Erfahrungen.
Beim Verbrauch oder Konsum wollten wir hinweisen auf die Nicht-Neutralität der Objekte. Gibt es böse Objekte? Güter sind dann schädlich, wenn sie uns von Systemen abhängig werden lassen, die uns am Ende ausplündern oder im Stich lassen. Zweifellos hängen wir alle an solchen Systemen, die uns erpreßbar werden ließen. Einfluß haben wir aber immer noch auf den Grad der Abhängigkeit. Wir sollten diejenigen Objekte meiden, die uns dazu zwingen, weitere Zusatzgeräte zu kaufen. Wir sollen den Gütern mißtrauen, die einseitige Informationswege enthalten, wenn wir wohl auch nicht mehr ohne solche auskommen. Wir sollten zurückhaltend sein im Kauf und Gebrauch solcher Güter, die isolieren. Hier ist vor allem das Auto zu nennen, das überdies die Eigenschaft hat, den Benutzer zur Rücksichtslosigkeit zu erziehen.
Das Auto hat nicht nur unsere Städte zerstört, es zerstörte auch die Gesellschaft. Da kann man lange Forschungsaufträge vergeben, weshalb die Jugendkriminalität wachse, woran es liege, daß mehr Frauen überfallen werden, weshalb Quartiere verslumen oder veröden und nachts nicht mehr zugänglich seien. Solange als Abwehr gegen das motorisierte Verbrechen eine motorisierte Polizei eingesetzt wird und dem Passanten empfohlen wird, seinerseits den Wagen zu benutzen, kann die Lösung auch ohne größere Forschung genannt werden: Die Motorisierung durch Privatwagen gab die nicht-motorisierte Bevölkerung hilflos der Unsicherheit und dem immer leistungsschwächer werdenden öffentlichen Nahverkehrssystem preis.
Dies führt zu unserer letzten Bemerkung: über Kontraproduktivität. [...] Die Summe der Nachfolgeerfindungen ergibt dann die Kontraproduktivität des Gesamtsystems. [...]
Unsichtbares Design. Damit ist heute gemeint: das konventionelle Design, das seine Sozialfunktion selber nicht bemerkt. Damit könnte aber auch gemeint sein: ein Design von morgen, das unsichtbare Gesamtsysteme, bestehend aus Objekten und zwischenmenschlichen Beziehungen, bewußt zu berücksichtigen imstande ist.
Quelle: https://lucius-burckhardt.org/Deutsch/Texte/Lucius_Burckhardt.html#Design